Presseaussendung

„Klimarechnungshof jetzt!“: Österreich könnten Strafzahlungen von über 100 Mrd. Euro bis 2040 drohen

Kampagne stellt Ergebnisse von vier Prüfungen vor und fordert die Einrichtung einer unabhängigen Kontrollstelle für klimarelevante Politik und öffentliche Projekte

Österreich hat sich zur Einhaltung europäischer und internationaler Klimaziele verpflichtet. Dass diese gegenwärtig nicht eingehalten werden, erscheint zunehmend als politisches Schicksal: Während Wissenschaft und Klimaschützer*innen den fehlenden Klimaschutz benennen, werden die Fakten von anderen, wie zuletzt dem Bundeskanzler oder der Wirtschaftskammer, öffentlich in Frage gestellt. „Die Klimafrage polarisiert zunehmend und wird von der Tagespolitik in verantwortungsloser Weise instrumentalisiert“, sagte heute Alexa Färber, Initiatorin der Kampagne „Klimarechnungshof Jetzt!“ und Leiterin des FWF-Forschungsprojektes „Realfiktion Klimarechnungshof“ im Rahmen einer Pressekonferenz. „Österreich braucht eine unabhängige und evidenzbasierte Kontrolle klimarelevanten, staatlichen Handelns, um Fakten außer Streit zu stellen und die Politik zum Handeln zu verpflichten.“, meint dazu Christian Kdolsky, Sprecher des Klimavolksbegehrens, das die Idee eines Klimarechnungshofs im Jahr 2020 erstmals zur Diskussion stellte. „Im Rahmen der Kampagne haben wir einige wichtige Eckpfeiler für das Institutionenprofil eines Klimarechnungshofs ausgearbeitet“, erklärte Milena Bister, Mitarbeiterin im FWF-Projekt.

Gemeinsam mit einer Gruppe von Expert*innen aus Wissenschaft, NGOs und Verwaltung haben Färber und Bister in den vergangenen Monaten eine Kampagne lanciert und dabei unkonventionelle Wege beschritten: Nach einem öffentlichen Aufruf zur Eingabe von Prüffällen durch Stakeholder und Betroffene und insgesamt mehr als 40 eingelangten Vorschlägen, wählte eine Expert*innen-Kommission 4 Prüffälle aus. Auf Basis vorliegender Daten und eigener Berechnungen wurden die folgenden öffentlichen Angelegenheiten geprüft:

Prüffall 1: Beschleunigung der Genehmigungsverfahren von Windkraftanlagen in Niederösterreich

Der Ausbau der Windkraft spielt bei der Erreichung der Europäischen Energie- und Klimaziele, zu denen die Republik verpflichtet ist, eine entscheidende Rolle. Dabei erweisen sich die aktuellenGenehmigungsverfahren jedoch als nicht effizient und vielfach hinderlich für einen Ausbau an Windenergie. So verfügt das Land Niederösterreich über ausgewiesene Windkrafteignungszonen. Einer Erweiterung der Anlagen stehen jedoch Genehmigungsverfahren von über 5 Jahren Dauer entgegen.

Geprüfte Stellen:

Landesbehörden, Klimaschutzministerium

Empfehlungen:

  • Genehmigungsverfahren müssen effektiver gestaltet und beschleunigt werden, um den Ausbau von Windkraft bis 2030 zu sichern.
  • Bereits beschlossene sowie künftige Ausbauziele müssen als klare Zielvorgaben für die einzelnen Bundesländern rechtlich verbindlich sein.

Kontrollbedarf:

  • Entwicklung von Vorschlägen für die Optimierung der Genehmigungsverfahren
  • Laufendes Monitoring der vorhandenen Stromquellen und der Entwicklung des Ausbaus erneuerbarer Energieträger auf Bundesländerebene

 

Prüffall 2: Umweltprüfung bei Bau des Westringtunnels in Linz (A26) notwendig

Seit über 50 Jahren wird der Linzer Westringtunnel (A26) geplant. Dennoch wurde die Durchführung einer strategischen Umweltprüfung (SUP) verabsäumt, die aufgrund weitreichender Auswirkungen auf Verkehr, Mobilitätsverhalten und Emissionen dringend notwendig ist. Angesichts des geplanten Baubeginns im kommenden Jahr ist zu prüfen, ob der Einsatz der Mittel im Einklang mit den aktuellen Anforderungen an die Mobilitätswende und die Reduzierung von Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor steht.

Geprüfte Stellen:

Verkehrsministerium, Land Oberösterreich, Stadt Linz

Empfehlungen:

Dringliche Re-Evaluierung der Grundlagen der verkehrsstrategischen Entscheidung für die Genehmigung des Baus des Westringtunnels in der aktuellen Planungsfassung und Abgleich mit aktuellen Verkehrsprognosen und -konzepten für Linz und das Umland

Kontrollbedarf:

  • Ein Bewertungstool für die Daten- und Entscheidungsgrundlagen in hochrangigen Straßenbauprojekten entwickeln, die mit langen Planungsphasen in der Vergangenheit heute kurz vor der Realisierung stehen, und gemäß aktuellem Stand des Wissens beurteilen (ex post)
  • Modelle für die vorausschauende Prüfung der Klima- und Umweltwirkung von großen Infrastrukturvorhaben in Planung und kurz vor der Umsetzung transparent entwickeln (ex ante)

 

Prüffall 3: Ausbleiben des Klimaschutzgesetzes versäumt 2023 Einsparungen von 6 Millionen Tonnen CO2-Äq

Seit bald 3 Jahren fehlt Österreich ein neues Klimaschutzgesetz. Die Bundesregierung steuert im Blindflug und versäumt dabei massive CO2-Einsparungen, die hohe Folgekosten haben. Nach Einschätzung des Footprint-Experten Wolfgang Pekny verliert Österreich dadurch allein 2023 Einsparungen in der Höhe von 6 Millionen Tonnen CO2-Äq, die sich bis 2030 auf 34 Millionen Tonnen CO2-Äq steigern. Bleibt Österreich am eingeschlagenen Pfad, drohen bis 2040 Strafzahlungen von über 100 Mrd. EUR.

Geprüfte Stellen:

Bundesregierung, Parlament

Empfehlungen:

Beschluss einer Novelle des Klimaschutzgesetzes zur Einhaltung des verpflichtenden Pariser Klimazielwegs inkl. jährlichen sektoralen Treibhausgasemissionszielen und klaren Verantwortlichkeitsmechanismen für die Einhaltung der Ziele zwischen Bund, Ländern und Gemeinden

Kontrollbedarf:

  • Ausarbeitung jährlicher vorausschauender Abschätzungen zur THG Entwicklung mit bestehenden Maßnahmen (WEM Szenarien) und mit weitergehenden Maßnahmen (WAM Szenarien) sowie deren Veröffentlichung
  • Entwicklung eines Erhebungsinstruments für verpflichtende jährliche Stellungnahmen von ausgewählten Regierungsmitgliedern, Verwaltungsbeamten und Expert*innen zu ihrer Position zu ausbleibenden angekündigten klimarelevanten Gesetzesinitiativen

 

Prüffall 4: Agrarsubventionen ohne Reduktionsziele und THG-Daten

Die Landwirtschaft ist gleichermaßen Betroffene wie Verursacherin des Klimawandels. Öffentliche Subventionen spielen eine entscheidende Rolle in der Gestaltung landwirtschaftlicher Praktiken. So gingen allein im Rahmen des Österreichischen Agrarumweltprogramms (ÖPUL) im Jahr 2021 436,6 Mio. EUR an über 85.000 Betriebe. Die Treibhausgas-Reduktionswirkung von Maßnahmen ist dabei nicht bekannt, auch die Berechnung der nationalen THG-Emissionen im Bereich der Landwirtschaft (offiziellen Angaben zufolge 10% in 2020) liegt weit unter dem internationalen Niveau, da relevante Parameter nicht einberechnet werden.

Geprüfte Stelle:

Landwirtschaftsministerium

Empfehlungen:

  • Daten der Agrarsubventionen auf Einzelmaßnahmenebene für die Forschung veröffentlichen
  • Grundsätzliche Ernährungsumstellung fördern
  • Fortbildungsoffensive zu Klima- und Umweltschutz für Beamt*innen und den Bildungsbereich

Kontrollbedarf:

Ex-ante und ex-post Prüfverfahren entwickeln, um verschränkte Klima- und Umwelteffekte von Agrarsubventionen und landwirtschaftlicher Praktiken zu bestimmen.

 

Unabhängige Kontrolle statt Spielball der Tagespolitik

Bereits seit dem 19. Jahrhundert sorgen im Bereich der öffentlichen Gebarung Rechnungshöfe für unabhängige Kontrolle und objektive Information der staatlichen Mittelverwendung. Die Prinzipien ihrer Kontrolle lauten seither: Rechtmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Zweckmäßigkeit. „Für die Generationen übergreifende Aufgabe der Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen brauchen unsere gefährdeten Demokratien und Gemeinwesen heute etwas Vergleichbares – ein der Wissenschaft verpflichtetes Kontrollorgan, das nicht Staatshaushalte sondern CO2-Budgets prüft.“, so Färber abschließend.

Rückfragehinweise:

Volkskundemuseum Wien:
Mag.a Gesine Stern
T: +43 676 5668523 E: gesine.stern@volkskundemuseum.a

Wissenschaftliche Leitung:

Univ.Prof.in Dr. in Alexa Färber
Institut für Europäische Ethnologie der Universität Wien
T: +43 676 6446385 E: alexa.faerber@univie.ac.at

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